Jedem Schützen ist bekannt, dass sich die Trefferlage mit der Zielentfernung mehr oder weniger ändert. Doch wieviel macht das im Bereich jagdlicher Entfernungen überhaupt aus? Ist der Geschossabfall überhaupt relevant?
Ein erfahrener Jäger hat mir mal erzählt, dass er Füchse auch auf 250 bis 300 m beschießt. Auf meine skeptische Nachfrage, ob er bei diesen Entfernungen überhaupt waidgerecht treffen könne und wie er mit seinem 1er Absehen den Geschossabfall kompensiere, meinte er, dass er nur ein Ticken höher halten brauche und der Fuchs meistens liegen würde.
Da ich bei diesem Jäger weiß, dass er sein Revier gut kennt, gehe ich mal von korrekten Entfernungsangaben aus. Wie man „meistens“ und „waidgerecht“ in diesem Zusammenhang interpretieren darf, überlasse ich mal jedem selbst. Aber „nur ein Ticken“ höher halten? Kann das sein?
Um das herauszufinden, muss man die Flugbahnhöhe, also die Flughöhe des Geschosses bezogen auf die Visierlinie, anschauen. Dazu habe ich mit Hilfe eines Ballistikrechners Beispielflugbahnen für die weit verbreiteten Kaliber .223 Rem und .308 Win erstellt. Um eine möglichst große Bandbreite verschiedener Laborierungen abzudecken, habe ich die Daten für jeweils eine schwache und eine sehr starke Ladung ermittelt. Die zugrunde gelegten Geschossgewichte sind jagdlich typisch mit 165 gr bzw. 10,7 g (.308 Win) und 65 gr bzw. 4,2 g (.223 Rem).
Das Ergebnis zeigt folgendes Diagramm unter der Annahme, dass die Waffe auf die günstigste Einschießentfernung (GEE) eingeschossen wurde (4 cm Hochschuss auf 100 m).
Es ist gut ersichtlich, dass sich die Flugbahnen der beiden Kaliber bis 350 m kaum unterscheiden. Trotz des deutlichen Unterschiedes der Kaliber (5,56 mm mit 4,2 g vs. 7,62 mm mit 10,7 g). Dagegen hat die Ladungsstärke spätestens ab 250 m einen deutlichen Einfluss.
Da die x-Achse der Visierlinie entspricht, lässt sich ab ca. 220 m ein deutlicher Tiefschuss ablesen. Die Daten in Tabellenform zeigen die genauen Werte.
Es zeigt sich, dass bei 200 m die Grenze für einen sauberen jagdlichen Schuss liegt, wenn die Flugbahnhöhe nicht korrigiert wird und die Waffe mit 4 cm Hochschuss auf 100 m eingeschossen wurde. Über 200 m führt der Fall des Geschosses zu einer nicht mehr waidgerechten Abweichung in der Treffpunktlage. Bei einer schwachen Ladung sind selbst 200 m auch grenzwertig und im Kaliber .223 Rem muss zusätzlich beachtet werden, dass die Geschossenergie hier nur noch rund 750 J beträgt. Selbst bei der bzgl. des Drucks grenzwertig starken Ladung mit 3281 bar beträgt die Energie nur noch rund 910 J auf 200 m. Und das mit einem mittelschweren 65 gr Geschoss.
Beim Kaliber .308 Win liegt die Energie übrigens bei 1954 bzw. 2328 J. Neben den gesetzlich relevanten Energiewerten ist auch die Geschossgeschwindigkeit ein entscheidender Faktor. Von dieser hängt es nämlich ab, ob ein Geschoss noch in der Lage ist, ausreichend zu deformieren. In unserem Beispiel liegt die Geschwindigkeit noch bei 605 bzw. 660 m/s. Bei den 605 m/s der schwachen Ladung nähert man sich schon langsam der unteren Deformationsgrenze (450 bis 550 m/s lt. Sierra Bullets).
Bei einer Entfernung von 250 m ist der Tiefschuss bei beiden Kalibern unabhängig von der Ladung jenseits von Gut und Böse. Hier ist dann zwingend eine Höhenkorrektur erforderlich. Bei 300 m liegt der Tiefschuss schon zwischen 32 und 43 cm, mit „ein Ticken höherhalten“ aus unserem Eingangsbeispiel ist es hier also sicher nicht getan.
Aber was ist nun mit unserem Jäger, der die Füchse dennoch auf diese Distanzen trifft? Hat er Humbug erzählt? Höchstwahrscheinlich nicht. Meine Vermutung, wie er das dennoch schafft, werde ich in einem späteren Artikel erläutern.
Kann ich die Waffe auch auf Fleck einschießen?
Der Vollständigkeit halber möchte ich noch die Flugbahnhöhen bei auf Fleck eingeschossenen Büchsen zeigen (0 cm Hochschuss auf 100 m).
Hier wirkt sich der Geschossabfall noch wesentlich dramatischer aus, so dass eine Schussdistanz von 200 m schon nicht mehr vertretbar ist. Tatsächlich ist hier schon bei 150 oder 160 m Schluss.
Es zeigt sich also, dass das Einschießen auf die GEE durchaus Sinn macht. Außer das ZF besitzt eine Absehenschnellverstellung und man korrigiert die Höhe sowieso immer in Abhängigkeit von der Entfernung (was sicher die wenigsten Jäger tun werden).
Was ist eigentlich die GEE?
Es ist im Prinzip eine fiktive Einschießentfernung, bei der das Einschießen gar nicht stattfindet. Tatsächlich findet das Einschießen bei einer Entfernung von 100 m statt und man schießt die Büchse so ein, dass man auf 100 m einen Hochschuss von 4 cm gegenüber der Visierlinie erhält. Mit zunehmender Entfernung verringert sich dann der Hochschuss und bei einer bestimmten Entfernung wird die Visierlinie gekreuzt. Bei dieser Entfernung befindet sich dann die sogenannte GEE.
Warum ausgerechnet 100 m Einschießentfernung und warum 4 cm Hochschuss?
4 cm Treffpunktabweichung gelten als jagdlich gerade noch tolerierbar und waidgerecht. Und das Einschießen findet in der Regel auf 100 m Schießständen statt. Das ist der ganze Hintergrund.
Hätten Schießstände 90 m und wäre das Wild durchschnittlich etwas größer, hätte man vielleicht 5 cm Hochschuss auf 90 m Entfernung festgelegt. Aber da wir 100 m Stände haben und max. 4 cm Treffpunktabweichung als Rahmen gelten, gilt die zuvor genannte Regel.
Zur Veranschaulichung: Der auf 100 m eingestellte Hochschuss stellt in der Regel auch den höchsten Punkt der ballistischen Kurve dar, so dass an dieser Stelle auch die maximale Abweichung nach oben erreicht wird. Und nach unten überschreitet man diesen Betrag entweder nur bei sehr kurzen Distanzen unter 25 m oder bei sehr großen Entfernungen über 200 m. Damit hat man einen breiten jagdlichen Einsatzbereich, ohne dass eine Höhenkorrektur erfolgen muss.
Nehmen wir beispielsweise die starke 308er Ladung, dann erhalten wir durch das Einschießen mit 4 cm Hochschuss auf 100 m einen waidgerechten Einsatzbereich von 186 m (blaue Kurve, 20 bis 206 m Entfernung). Der grüne Hintergrund markiert den Bereich zwischen + 4 cm und – 4 cm Abweichung. Die GEE liegt in diesem Fall bei ca. 182 m, das ist für die Praxis aber völlig irrelevant und bezeichnet nur den Nulldurchgang durch die x-Achse (Visierlinie).
Die dunkelrote Kurve ergibt sich bei einer auf Fleck eingeschossenen Büchse. Hier erfolgt der Nulldurchgang logischerweise bei 100 m Entfernung, so dass der grüne Bereich oberhalb der x-Achse nicht ausgenutzt wird. Damit ergibt sich lediglich ein waidgerechter Einsatzbereich von 133 m (27 bis 160 m Entfernung).
Fazit: Wer sich keine Gedanken über Höhenkorrekturen machen möchte und unter einer Schussdistanz von 200 m bleibt, schießt seine Waffe am besten auf 100 m mit 4 cm Hochschuss ein.
Wer der Meinung ist, dass 4 cm zu viel sind, kann seine Waffe natürlich auch z.B. auf 3 cm Hochschuss einschießen. Bei meinen Leuchtpunktvisieren mache ich das grundsätzlich so. Man bedenke jedoch, dass sich damit auch die waidgerechte Schussdistanz reduziert.